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TIM PLAMPER
SECURITY IV
(EVENT HORIZON)


BERLIN ART DIARY: Mit welchen drei Wörtern würdest du deine Praxis assoziieren?
Tim Plamper: Zeichnung, Landkarte beziehungsweise Map im Englischen - das ist von der Bedeutung her umfassender und gleichzeitig präziser - Körper.

Ich hatte sofort die Assoziation mit Vernetzung beziehungsweise Verflechtung, Kontinuität und Selbstreferenzialität.
Ja das kann man sagen. Ich habe meine Praxis oft selbst als die eines Gärtners beschrieben. Der Garten wächst auch von sich aus, ich kann aber auch eingreifen und ihn formen. Der Garten kann sich fortpflanzen. Er kann woanders neu entstehen und sich mit etwas anderem verbinden und in einer anderen Kombination wieder auftauchen. Und da zeigt sich eigentlich, dass die Landkarte, die Map, den Blick von oben auf den Garten frei gibt, der Garten selbst ist dann Körper bzw. der lebendige Organismus. Die Zeichnung ist das Mittel des Zugangs – der Schlüssel.

 


Du beziehst mehrere Medien in deine Praxis mit ein, von Zeichnung, über Fotografie, Video und Performance. Sprache ist auch ein integraler Bestandteil deiner Arbeit. Wie würdest du die Rolle der Sprache in deiner Praxis beurteilen?
Sprache interessiert mich und eröffnet nochmal ganz andere Formen des Ausdrucks. Ich bin interessiert an Geschichten und Erzählungen und Sprache erlaubt etwas was Bilder nicht so gut können: das Soziale, das Zwischenmenschliche zu behandeln. Es ist eine völlig andere Welt, die sich mit der Sprache auftut. Sprache ist ganz klar vernetzend.
Und grundsätzlich bezüglich der verschiedenen Medien, das war eigentlich schon immer vorhanden. Ich fand das schon immer spannend, aber habe das bis zu einem gewissen Zeitpunkt nie gezeigt, sondern nur benutzt, wie beispielsweise Fotos als Basis für Zeichnungen.
Videos habe ich schon immer gemacht. Schon als Kind haben wir Videos gedreht und es ging auch schon immer um Performance. Immer wenn eine Kamera da war, bin ich vor die Linse gesprungen und habe performt. Wie so ein Irrer. Eine schöne Anekdote gibt es da, da bin eineinhalb oder zwei Jahre alt. Mein Vater hat die Kamera an den Fernseher angeschlossen und ich sehe mich und zeige dann auf mich und sage ganz erstaunt „Timi“.

Frühe Form von Selbstreferenzialität.
Wir sind ja auch eine Generation, die so krass damit aufgewachsen ist, sich selbst im Bild widerzuspiegeln. Instant, in dem Moment.

Das führt ja zu einem ganz eigenen Nachdenken über sich selbst. Egal ob eine Kamera dann in dem Moment da ist oder nicht.
Ja das führt zu einer ganz eigenen Selbstwahrnehmung.

Du wechselst ja oft zwischen Deutschen und Englischen Begriffen. Body, Blood, Mutter...
Meistens wähle ich das Wort aus, das mir treffender erscheint. Die Bedeutungen sind ja nicht immer kongruent, die Übersetzungen. Teilweise hat die Wahl auch mit dem Klang zu tun, also einem poetischen Ansatz. Letztlich spiegeln die jeweiligen Wörter auch meine Lebenswelt einfach wieder. Es war immer eine Frage mit Titeln von Arbeiten, nimmt man Deutsch oder Englisch und irgendwann habe ich angefangen das zu mischen.

Darüber hatten wir ja schonmal gesprochen, dass es keine dem Konzept entsprechende Übersetzung für Fernweh ins Englische gibt. Die englische Übersetzung heißt Wanderlust. Weh und Lust sind ja zwei völlig unterschiedliche Gefühle.
Ja ich glaube insgesamt hat die Sprache auch eine magische Komponente. Sie ist ein Instrument mit dem man die Welt beschreiben kann, aber in erster Linie erschaffen wir unsere Realität damit.

Wir fassen etwas in Worte...
Ja und das ist ein Bereich, der mich schon immer interessiert. Schon echt lange eigentlich seit Anfang meines Studiums habe ich angefangen mich damit zu beschäftigen. Die Überschneidungen und aber auch die Unterschiede dieser beiden Ausdrucksformen von Sprache und Bild zu erkunden und für mich zu klären. Es gibt natürlich viele Bereiche, wo man zumindest augenscheinlich sagt, egal was man benutzt, die Aussage bleibt die selbe. Beispielsweise wenn man „Baum“ sagt oder einen „Baum“ zeichnet. Es gibt aber auch Bereich, die viel stärker von der einen Sprache/ Mittel besetzt werden können als von anderen. Wie Fernweh zum Beispiel.

 


Welche Rolle spielt das Archiv?
Das ist extrem wichtig. Ich glaube, es ist kein Archiv. Nicht im bürokratischen Sinne. Es ist eher ein Sediment. So habe ich das für mich vor zwei Jahren benannt. Es gibt Sammlungen, Papierblöcke, die haben dann entweder eine Klammer, eine thematische oder eine zeitliche; mittlerweile vor allem eine zeitliche. Mit der thematischen Klammer ergab sich immer das Problem, was gehört dazu und was ist die Reihenfolge und ich habe nie eine gute Lösung gefunden, da es immer willkürlich schien. Dann habe ich gesagt, einfach alles rein und wenn es mal durcheinander kommt ist es auch egal. So wurde es dann zu einem Sediment.

Und wie weit ist dieses Sediment schon Arbeit per se?
Es ist die Basis. Für mich mach das total Sinn, früher wollte ich eigentlich Archäologe werden neben vielen anderen Sachen. Mittlerweile kommt das alles zusammen. Und das ist ganz klar Archäologie. Ich hinterlasse meine eigene Erde in der sich dann die Spuren niederschlagen, die man dann wieder ausgraben kann.

Das Sediment speist sich also aus deinen subjektiven Erinnerungen.
Ja das ist meine Hinterlassenschaft aus Zeichen.

...und das kollektive Gedächtnis?
Das hat mich konzeptionell total gefasst als ich das vor ein paar Jahren entdeckt habe. Ich habe früher schon viel über Archetypen nach C.G. Jung gelesen, weil ich das sehr spannend finde, wie er Bilder oder Figuren, oft auch metaphorisch, beschreibt. Und gerade das sind Dinge, die sich mit Sprache nicht so gut formulieren lassen. Fast wie Dämonen, Dinge, die jede:r kennt, die jede:r für sich klar vor Augen hat und emotional besetzt hat. Dann fiel mir auf, dass dieses kollektive Unbewusste auch eine Art von Sediment darstellt. Das ist das was ich spannend finde, aufregend und teilweise auch beängstigend: In meinem eigenen Ich auf die Suche zu gehen nach der Herkunft, nach der Geschichte. Nach Spuren der Geschichte der Menschheit zu suchen, die man in sich selbst findet.
Und das ist ein Punkt an dem ich gerade bin. Die Performance Security IV hat viel damit zu tun. Dieser Event Horizon, der Ereignishorizont um das schwarze Loch, an dem sich zwei Räume begegnen, aber eigentlich nur in Punktform abstrakt miteinander verbunden sind. Eine Metapher für meine Empfindung: Meine Innenwelt und meine Außenwelt kommt in mir zusammen und dieser Nullpunkt ist das Ich.

 


Der ganze Werkzyklus Exit, zu dem Security IV gehört, dreht sich um die Befragung des Unterbewussten; die Reise auf der Suche nach dem Inneren, nach den Urtypen oder Urbildern. Gibt es ein Vorangekommen beziehungsweise ist es eine lineare oder eher eine zirkuläre Reise?
Leider nicht linear (lacht)! Um so länger es geht, um so unüberschaubarer wird es eigentlich. Die Idee mit Exit II ist eine Reise in die eigene Tiefe zur eigenen Herkunft, ins Unbewusste – wie auch immer man das benennen möchte, aber auf jedenfall in die Innenwelt. Mit jedem Schritt wird der Horizont größer, die Welt wird größer und dadurch komplexer, vielfältiger. Es ist eher wie ein Wurzelwerk, das sich immer weiter ausbreitet. Es ist auf keinen fall linear. Eher körperlich. Wie ein Blutkreislauf vielleicht.
Ich habe versucht das zu skizzieren und habe unter einem pseudowissenschaftlichen Ansatz eine Karte gezeichnet. Ich habe jetzt auch die verschiedenen Werkgruppen in ein Geflecht, eine Landkarte/Map eingebunden, um Genese, Einfluss und Beziehung nachzuvollziehen. Jetzt gerade habe ich gemerkt, dass die zweidimensionale Karte nicht mehr reicht. Im Prinzip ist es dreidimensional, um die vier Dimensionen von dem was da passiert abzubilden. Und da zeigt sich der Zirkel auf eine ganz komische Art und Weise.

Ist die Performance für dich das Mittel, dass der Darstellung der vier Dimensionen am ehesten gerecht wird?
Ja die Bewegungen im dreidimensionalen Raum. Zwar auch nur metaphorisch, aber das ist auch das worum es mir geht. Ich möchte nichts erklären.

Sondern eher Dinge in ein Verhältnis stellen beziehungsweise die Verbindung zwischen Dingen fassen?
Ja es ist vor allem der Mythosgedanke, diese Geschichten, die mich faszinieren. Eines der ersten Bücher das ich haben wollte, war eine Kinderbibel von den Zeugen Jehovas. Damals hatte ich meine Mutter gezwungen sie an der Haustür zu kaufen. Das habe ich auch noch. Und ich habe es geliebt dieses Buch. Die Geschichten waren mir völlig egal. Die Bilder und die historischen Geschichten fand ich total irre. Und das sind ja letztendlich auch Mythen, die sich dann in der Bibel niedergeschlagen haben. Erzählungen, die in ihrer Gesamtheit den Kosmos menschlichen Lebens versuchen zu beschreiben, um den Leuten damals Halt zu geben.

Gerade antike Mythen lassen einen etwas ratlos zurück, die oft auch sehr grausam und brutal sind. Ich versuche da auch mehr zu lesen, gerade in Bezug auf die Tiefenpsychologie. „The Dream and the Underworld“ von James Hillman. Der macht ganz interessante Verbindungen auf. Sehr basic eigentlich. Eigentlich ist es oft dasselbe Ding, es sind nur andere Begriffe. So versuchen die Mythen eine Art von Handbuch oder Leitfaden zu geben, um die Welt verständlicher zu machen. Gerade in diesem Fall der Performance in der ich schwarze Löcher gesucht habe bin ich irgendwann auf Karten gekommen, die C.G. Jung gezeichnet hat, um seine Innenwelt zu beschreiben und es gibt krasse Parallelen. Wir reden immer nur über uns, unsere Wirklichkeit oder wie wir sie konstruieren und projizieren sie einfach auf irgendwas. Auf was ist letztendlich völlig egal.

Ist es dann egal woraus der Stoff gemacht ist, weil das Thema immer wieder kommt?
Völlig egal ist es nicht, aber ich finde es interessant, dass es nicht darum geht, was benannt wird, sondern dass es tatsächlich ein Spiegel ist.

 


Kannst du nochmal konkretisieren, welche Themen und Konzepte du in Security IV verflechtest?
In erster Linie ist Security IV als Pre-run für den nächsten Film gedacht, Exit II (An Den Grenzen). Diesen Filmzyklus habe ich ganz stark auf den Orpheusmythos bezogen. Der dritte Film ist der Moment, in dem Orpheus an die Grenze kommt zum Fährmann. Die Performance ist immer noch gedacht als loses Experimentierfeld um Formen zu finden und die "Grenze" zu beschreiben, wobei die Grenze eigentlich nicht existiert, denn zwei Teile treffen aufeinander und bilden die Grenze. Somit ist sie ja eigentlich formlos oder ein Nichtort.

Der Künstler bezieht sich hier auf einen Artikel von Paul B. Preciado.

Das ist dann auch von sich aus wieder mehr gewachsen durch das Involvieren von anderen Beteiligten, die stark in den kreativen Prozess integriert waren. Lui zum Beispiel, die die Kostüme macht, ihr habe ich sehr viel Freiraum gegeben.

Das spricht ja genau für deine Arbeitsweise offen zu agieren und die Dinge passieren zu lassen und diese zu verknüpfen.
Ursprünglich dachte ich auch, dass ich für den Film nach Lampedusa oder Ceuta zu den Flüchtlingscamps fahre. Und vor allem die Grenze an Ceuta ist wirklich beeindruckend mit den hohen Zäunen. Letztendlich und auch wegen der Verschiebung der Grenzen in unseren Köpfe durch den Ukrainekrieg kam der Gedanke, warum soll ich überhaupt an die Grenzen fahren. Was habe ich da zu suchen? Das ist die Außenwelt, aber ich muss in mir gucken. Von daher glaube ich, dass ich den nächsten Film auf dem Grundstück meiner Urgroßeltern in der Eifel drehen werde. Da war ich auch als Kind schon oft. Ich glaub' ich bin dort auch gezeugt worden. Das ist ein Steinbruch, mit Brunnen – ein sehr wichtiger Ort für mich. Was kann ich da rausfinden?

Etwas zutiefst persönliches und an deine eigene Biographie gebundenes. Doch gemäß der Theorie der Archetypen hat es ja doch in gewisser Art und Weise eine Allgemeingültigkeit, weil das Themen sind, wo jede:r Anknüpfungspuntke findet...
Wenn es gelingt! Da ist ja bei Kunst im Allgemeinen so. Ob visuell oder geschrieben, es hat ja immer einen persönlichen Kern, der dann universalisiert wird...

...der dann gewisse Leute anspricht oder eben nicht.
Du hast ja auch über die Ukraine, über Flüchtlinge gesprochen. In wie weit ist den Arbeiten eine politische Ebene immanent?

Ist schwierig zu beantworten. In erster Linie ist Kunst nie politisch und aber auch immer. Aber ich würde es schon als politische Arbeit sehen. Erstens ganz handfest, es sind Leute aus ganz vielen verschiedenen Ländern involviert. Und darum geht es mir eigentlich auch bei dieser Reise in das Unbewusste. Da versteht man mehr auch über seine eigene Irrationalität. Und ich glaube auch dass das Irrationale diese Grausamkeiten entstehen lässt. Anders kann ich es mir nicht erklären. 

Auf der anderen Seite sollte sich Kunst nie instrumentalisieren lassen. Keine Propaganda werden. Oder in einem anderen Kontext, ganz aktuell, diese überkuratierten Ausstellungen tragen, die ich auch nicht mehr verstehe.

 


Hast du eine spezifische Ausstellung im Kopf?
Ich sehe das tatsächlich sehr oft, dass du in Ausstellungen reinkommst. Den Ausstellungstext liest. Manchmal ist es ein guter Text, nicht so oft. Dann läufst du durch die Ausstellung, siehst die Arbeiten und denkst dir, dass es gar nicht zusammen passt.

Das ist sicherlich auch ein Problem, wo etwas Unbewusstes, sehr Subjektives auf die kalte, freie Marktwirtschaft trifft. Das System wird der Kunst habhaft; andererseits kann die Kunst ohne den Kapitalismus in der Form auch nicht überleben.
Ich glaube, dass der Kapitalismus die Kunst als Gebilde versucht für sich verfügbar zu machen. Die Kunst versucht zu infiltrieren und sich einzuverleiben. Gerade die Essenz von Kunst geht dann verloren. Die Schwierigkeit, die ich da sehe ist gerade, dass das zutiefst Persönliche dann verloren geht. Es wird benutzt, um irgendetwas zu erklären, irgendetwas zu veranschaulichen. Beispielsweise, um sich mit dem Thema Flüchtlinge auseinanderzusetzen oder mit dem Thema Gender. Aber alle diese Themen sollten in guter Kunst eigentlich immer drin sein und auch darüber hinausgehen.

Ich lese auch gerade das Buch "Technic and Magic" (Federico Campagna, Bloomsbury, 2018, Anm. d. Red.), das beschreibt, warum das gerade passiert was wir wahrnehmen, dass unsere Lebenswelt so stark dominiert wird; ausgesaugt wird von Systemen. Was er Technik nennt, führt dazu, dass es nur um verfügbare Sachen geht, Sachen, die wir bewerten oder verwenden können. Alles andere fällt raus aus der Sprache und lässt sich dann gar nicht mehr wahrnehmen. Er schlägt dann Magic vor. Als Vision, als Utopie. Dass man das anvisieren sollte.

Magic im Sinne von?
Im Sinne von Sprache als Werkzeug, um Realität zu verändern. Ich glaube jede:r hat das schonmal erlebt, wenn ich sage, ich liebe dich, und dass was man dann erfährt, das ist dann Magic. Es geht um die Mittel, die wir als Menschen haben, die weit kraftvoller sind als wir doch glauben.

Als einem vielleicht auch glauben gemacht wird.
Das auf jedenfall! Da kommen wir auch auf den Punkt vom Anfang zurück, dass Sprache nicht nur unsere Realität beschreibt, sondern sie auch bestimmt.

Vielen Dank für das Gespräch Tim!

 


Interview + Fotos: Maximiliane Kolle
Layout + Design: Jakob Urban


 

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