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NEDA AYDIN
Eine Form von ästhetischem Widerstand im Material
 

 

BERLIN ART DIARY: Wie würdest du deine künstlerische Praxis beschreiben?

 

Neda Aydin: Ich verorte mich hauptsächlich in der Bildhauerei, da mich der Umgang mit dem Material am meisten packt. Dabei entstehen raumbezogene, teils pneumatisch bewegte Installationen, Plastiken aber auch Sound- oder Videoarbeiten. Außerdem ist das Sammeln von gefundenen Gegenständen ein wichtiger Bestandteil dessen.

Welche Themen behandelst du in deiner Kunst hauptsächlich?

 

Ich möchte mich ungern thematisch einschränken, weil sich Inhalt und Ausdruck auch weiterentwickeln und ich mich dem nicht verschließen möchte. Themenübergreifend ist für mich vor allem ein schlüssiger Transfer in die Abstraktion wichtig, in der ich ein eigenes Material-Alphabet entwickle.

Wiederkehrende Themen sind Druck, Spannung, Anpassung, Unterordnung und Deformierung. Dabei übersetze ich emotionalen Druck in die physikalische Größe von Druck- und Zugkraft. Bei der Auswahl verwende ich meist Materialien, die in ihrer Beschaffenheit in einer Diskrepanz zueinanderstehen. Dies provoziert ein Machtgefälle: Das ‚dominante‘ Material, dass die Koordinaten festlegt, innerhalb derer sich das ‚unterlegene’ Material bewegen kann. Dabei interessiert mich eine Form von ästhetischem Widerstand im Material den ich - entgegen gesellschaftlichem Denken - nicht als Makel verstehe.

 

In welchem Bezug stehen für dich Konzept, Form und Material

 

Eigentlich greifen die Ansätze für mich fließend ineinander. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass ich nicht mit einem festen Konzept eine Arbeit beginne.

 

Oft ist Ausgangspunkt das Material, welches im Prozess durch seine Beschaffenheit formführender ist als ich. Irgendwann erschließt sich mir, was ich darin für eine Analogie sehe, und daraus entwickelt sich das Konzept und damit der Titel. Wenn ich es in eine Reihenfolge bringen würde, dann: Material, Form und Konzept. Dem würde ich Raum, als relevante Einwirkung hinzufügen.

 

Du zeigst oft mehrere Werke und Werkteile zusammen. Was bedeuten dir Installation und Arrangement?

 

Das ist ja etwas, was mir jetzt erst ermöglicht wird, so zu arbeiten, weil die Ausstellungskontexte vorhanden sind. Es ist ein Erproben ob die einzelnen Werkteile zusammen als Ganzes “funktionieren”. Ich sehe Arrangements aus einzelnen Werken, Werkteilen, Fundstücken, Sound, Titeln aber vor allem auch die Platzierung im Raum als “Ensemble“, in der sich die “Besetzung" je nach Kontext, Raum und Zeitpunkt ändern kann. Darin gibt das Einzelne den Betrachtenden vielleicht einen Zusatz oder einen Hint das Gesamtgefüge und damit die einzelnen Werke zu greifen. Wie eine Mannschaft (lacht). Für mich ist es ja ganz klar so, weil es quasi aus einem / meinem Gedanken-Pool stammt, aber es ist mir dabei auch durchaus wichtig, dass es für andere spürbar wird.

 

Du arbeitest viel mit gefundenen Objekten, teilweise auch mit Nebenprodukten aus industriellen Vorgängen, wie stehst du zu diesen Gegenständen und ihren Biographien?

 

Tatsächlich sehe ich als essenziell das Schlagwort Biographie und setze da an.

 

Genauso wie Materialien, wie Bronze oder Porzellan, für sie spezifische Eigenschaften haben, tragen auch industrielle Gebrauchsgüter vor allem durch die Funktion, die sie erfüllen eine gesellschaftliche Konnotation. Bis sie diese nicht mehr erfüllen und ausrangiert werden. Aber wir lesen die Funktion, auch entkontextualisiert weiterhin mit. Neben der Schlichtheit der Fundstücke ist allen gemein, dass sie, ohne meinen Eingriff, ausgedient haben. Ich nehme nicht wahllos alles mit, sondern suche spezifische Objekte aus, bei denen ich eine Analogie zu Körperteilen erkenne oder deren vorherige Funktion für mich eine symbolische Aufladung besitzt.

 

So zum Beispiel die Arbeiten “Brustkorb l“ und „Brustkorb ll“: Dabei handelt es sich um gefundene Drahtkörbe, an denen ich nichts weiter verändert habe. Sie haben durch die Verbiegung, ihre eigentliche Funktion etwas zu tragen verloren. Dabei fächert sich bei mir das Wort „Tragen“ in Synonyme auf wie „jemanden Tragen“, „Halt geben“, „bergen“ - vielleicht sogar eine Parallele zur Mutterschaft. Interessant finde ich auch die Begriffsparallele zum Brustkorb oder vielmehr die Industrialisierung des Körpers…

 

Das alles ist dafür ausschlaggebend, weswegen ich mich für ein Fundstück entscheide. Dennoch muss ein Objekt für mich auch formal funktionieren, vor allem, weil ich meine Hintergedanken nicht zwingend mitteile, oder höchstens über den Titel einen Zugang lege. Das weiße Grid der Drahtkörbe hat eine fließende Dynamik, dass die Druckeinwirkung in eine Leichtigkeit überführt.

Oft arbeitest du ortsspezifisch. Wie reagierst du auf Räume? Wonach suchst du, was fällt dir auf und wie beeinflusst das dann deine Kunst?

 

Ich empfinde Räume als starken Einfluss und habe eine enorme Bereitschaft, die Arbeit, zu Gunsten des Raumes, zu verändern - wobei das gleichzeitig zu Gunsten der Arbeit ist, weil sie dann ihre Wirkung simultan entfalten können. 

 

Ich habe es zwar nie forciert, aber es hat sich eine Routine herausgebildet, aus meinem privaten Lebensraum, beispielsweise nach einem Umzug: Erstmal muss ich putzen! (lacht) Dadurch nehme ich mich dem Raum an, fühle mich wohler in diesem, verbringe sehr viel Zeit dort und entdecke bestimmte Tendenzen und Nischen. Aus dieser Annäherung heraus entwickeln sich dann die Werk-Kombinationen und es wird klar wo diese in der Raumdynamik ausgedehnt, teils versteckt, ihren Platz finden. Die Interaktion mit dem Raum ähnelt sehr meinem Umgang mit dem Material. Das alles ist aber weniger Prinzip oder Konzept, sondern geschieht intuitiv, wie im Sog.

 

Wie gestaltest du dein Atelier und deine Arbeit in diesem?

 

Auch in meinem Atelier arrangiere ich viel: Tools, Fundstücke, Skizzen, eigentlich alles wird farblich abgestimmt und Störfaktoren entfernt. Es gibt bestimmte Farben, die dann nicht sein dürfen, weil sie meinen Blick und damit den Prozess stören. Die Klarheit schafft dabei visuelle Ruhe und schärft meinen Blick auf signifikante Details und Kombinationen zu achten, die sonst untergegangen wären. Beim Arbeiten bin ich am liebsten allein. Häufig, wenn möglich auch nachts, weil ich nach Überwindung der Müdigkeit besonders vertieft arbeiten kann.

Woran arbeitest du gerade und was sind zukünftige Projekte?

 

Ich arbeite an vielen Projekten parallel. Derzeit ist es mir durch die Mart-Stam-Projektförderung und das Mart-Stam-Stipendium möglich, mich hauptsächlich auf meine pneumatische Installation zu konzentrieren.

 

Mein aktuellstes Projekts war eine neue Installation im Rahmen der Klassenausstellung von Else Gabriel „Risiken und Nebenwirkungen“ im Wasserspeicher am Prenzlauer Berg. Die Ausstellung lief bis zum 27.11.

Wir bedanken uns bei Neda Aydin für das Interview

Interview, Layout + Design: Jakob Urban

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