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MICHELLE JEZIERSKI
Eine Tiefe die nach innen geht


BERLIN ART DIARY: Woran arbeitest du gerade?
Michelle Jezierski: Momentan arbeite ich an etwas Neuem, wo ich die Leinwände zuerst einfärbe, um eine Tiefe zu schaffen. Eine Tiefe, die nach innen geht. Bevor ich dann die Farbe auftrage, um so weitere Ebenen der Tiefe zu erschaffen. Ich habe relativ viele Leinwände auf einmal eingefärbt und verschiedene visuelle Störungen und Irritationen integriert, von denen ich mich dann einfach leiten lassen. Aber es geht mir immer um das Gestische, das Malerische im Gegensatz zu diesen Geometrien und diese visuelle Störungen, die ich in die Leinwand einbette wodurch der Raum dann verschiedene Ebenen bekommt.
 
Durch die verschiedenen Ebenen entsteht eine gewisse Materialität des Bildes und eine ganz besondere visuelle Haptik, wenn man so möchte...
Genau! Meistens fange ich mit einem Farbklang an, halte diesen erstmal fest und danach geht das eigentliche Malen erst los. So wie wenn man einen Akkord spielt, fängt man dann an, darauf aufzubauen. Fragen die ich mir stelle sind dann: Was könnte den Raum nach vorne ziehen oder nach hinten drücken? Das baut sich dann in Schichten auf.

 


In wie weit ist Musik und vor allem Rhythmus ein Thema in deiner Arbeit?
Meine Arbeit ist stark von Musik geprägt und vor allem auch mein Denken und wie ich an die Malerei heran gehe. Dissonanz, Harmonie und Rhythmus...für mich ist das eine ähnliche Sprache. Es ist eigentlich relativ egal, ob es visuell oder akustisch umgesetzt wird. Die Mechanismen und wie sie funktionieren sind ähnlich.


Um nochmal auf die Tiefe und diese visuelle Haptik zu sprechen zu kommen; Du hast vor Valérie Favre bei dem Bildhauer Tony Cragg studiert. In wie weit hat dich das beeinflusst?
In jedem Fall hat mich das geprägt. Im Januar war ich im Haus am Waldsee um die Ausstellung von Tony Cragg zu besuchen. Anhand der Skulpturen und Zeichnungen habe ich wieder gemerkt, dass diese Drei-Dimensionalität mich seit jeher fasziniert und genau das übersetze ich dann auf die Leinwand. Ich finde dieses Paradox spannend, dass man auf einer geschlossenen Fläche mit einer Begrenztheit so eine unendliche Weite schaffen kann. Deswegen male ich vielleicht auch und mache keine Skulpturen. In seiner Klasse habe ich vieles über die Präsenz im Raum, Volumen, Dichte, und Tiefe mitbekommen. Es gibt kein Licht ohne Schatten und es sind immer Gegensätze, die zusammen kommen. Es ist auch ein Balanceakt. Es darf natürlich nicht zu harmonisch werden, weswegen ich die visuellen Brüche und Irritationen integriere.

 


Wenn man auf die Irritationen zu sprechen kommt und sich deine früheren Arbeiten anschaut, erscheinen diese noch fast figürlicher...
Genau, früher waren diese noch viel figürlicher. Es gab konkrete Gegenstände, die mich inspiriert haben, wie beispielsweise Neonröhren. Dann fing ich an, das mehr und mehr zu abstrahieren und habe mich gefragt, was denn eigentlich die Essenz von dem ist, was ich vermitteln will, ohne zu viel zu erzählen. Für mich lenkt figurative Malerei zu sehr ab von dem was ich eigentlich sagen möchte. Meine Intention ist es einen Raum, ein Gefühl zu vermitteln, ohne dass zu viele Details ablenken.

Du hattest eben erwähnt, dass du die Farbe erstmal intuitiv auf die Leinwand aufträgst. Ist das ein bewusster Umgang mit dem Zufall?
Es ist ein super spannendes Spiel zwischen Kontrolle und Loslassen; Agieren und dem Material an sich Raum lassen, ohne dass es komplett im Chaos untergeht.

Also lässt du den Zufall rein, den kontrollierten Zufall zumindest.
Je länger man malt, desto mehr bekommt man eine Perfektion und Kontrolle über die Farbe, was das Bild ins Langweilige ziehen kann. Für mich ist es sehr wichtig, mir immer wieder Aufgaben zu stellen, um das Unkontrollierbare zuzulassen.
 
Was für Aufgaben stellst du dir denn?
Ich meine nicht direkt Aufgaben, sondern neue Herangehensweisen, neue Blickwinkel. Das Schlimmste ist, wenn man immer wieder das gleiche macht. Wenn man etwas beherrscht und kann; sich wiederholt.

 


Wie schaffst du es neue Perspektiven zu erreichen?
Ich höre viel Musik, gehe in Ausstellungen, lese viel; jetzt gerade ganz konkret, wie anfangs erwähnt, bei dieser Serie an der ich arbeite, bearbeite ich die Leinwände vorher in dem ich sie einfärbe.
 
Retrospektiv betrachtet: Was waren denn noch Punkte mit denen du angefangen hast mit einer neuen Technik zu experimentieren?

Ich habe im Lockdown mit einer neuen Papierserie angefangen. Ich habe Aquarelle gemalt und diese dann zerschnitten und als Collage neu zusammengefügt. Die Geste von Zerstückelung und Wiederzusammensetzung finde ich spannend. Dadurch kam ich auf die Idee, das auf die Leinwand zu übersetzen, eine homogene Fläche und trotzdem diese Brüche zu haben. Eines meiner Anliegen ist es, immer wieder neue Arten der visuellen Störung zu entdecken. Diese Brüche sind jetzt schon relativ neu. Das fing vor zwei Jahren an. Es is eine weitergehende Suche, die sich die ganze Zeit weiterentwickelt.

 


Diese visuelle Störung. Was steckt dahinter?
Ich finde es ist ein Spiel zwischen Struktur und Zerstörung. Etwas kreieren, das eine Ordnung hat, aber immer wieder diese Ordnung zu unterbinden und zu brechen. Das finde ich eine spannende Gegenüberstellung. So wie positiv und negativ Raum.
 
Auch ein allgegenwärtiges Thema. Egal ob man es in weltlichen Themen oder auch in spirituellen Themen sucht. Ohne Licht kein Schatten, ohne Ordnung kein Chaos, ohne Ying kein Yang. Du hattest eben bereits das Space und Light Movement erwähnt, dessen Mitglieder sich auch einer gewissen Spiritualität verschrieben haben. Würdest du sagen, deine Arbeiten folgen auch einem meditativen und/oder spirituellem Ansatz?

Ich würde nicht sagen, dass ich spirituelle Bilder male. Aber genauso wie wenn man auf das Meer schaut, hat das ja auch etwas Kontemplatives. Spirituell ist mir gleich zu religiös. Diese Kategorien möchte ich persönlich nicht aufmachen. Dennoch kann man sich in meinen Bildern verlieren und das hat etwas Meditatives.
 
Das erinnert mich formal in Bezug auf das Einbeziehen des Zufalls und auf die mediative Wirkung an das Südquerhausfenster von Gerhard Richter im Kölner Dom. Richter hat ganz explizit davon abgesehen einen Spiritualismus vorzugeben und wollte einen interpretationsoffenen Ort schaffen an dem jede*r sich kontemplativ verlieren kann.

Ähnlich wie die Kapelle von James Turrell auf dem Friedhof in der Dorotheenstadt. Die ist unglaublich, dieser Zyklus von Licht. Das macht etwas mit einem. Da ist etwas da, was man so eigentlich gar nicht in Worte fassen kann, dadurch ist es etwas Besonderes. Es gibt so Momente, da braucht man einfach keine Worte.

Wir sind sehr gespannt was als nächstes kommt. Vielen, lieben Dank Michelle!

 


Interview + Fotos: Maximiliane Kolle
Layout + Design: Jakob Urban


 

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