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BERLIN ART PRIZE 2022

 

Der Berlin Art Prize findet 2022 nach zwei Jahren pandemischer Pause erneut statt und bietet ein wertfreies Pendant zu anderen Auszeichnungen der Branche. Bedingung für die Bewerbung ist einzig, in Berlin lebende:r Künstler:in zu sein. Ausschlaggebend für die Shortlist ist weder Name noch Netzwerk, sondern einzig die eingereichten Arbeiten und die künstlerische Praxis. Jede:r Nominierte präsentiert eine Einzelausstellung in  jeweils einem der teilnehmenden Projekträume. Am 01. und 02. September werden die Ausstellungen eröffnet. BERLIN ART DIARY veröffentlicht im Zuge dessen Einzelportraits der Nominierten und hat vorab im Juli 17 Fragen an das Team hinter Berlin Art Prize gestellt:

 

Wer bist du und was genau ist deine Rolle beim Berlin Art Prize?

Alicia Reuter (AR): Ich bin Alicia Reuter, eine Amerikanerin, die seit 17 Jahren in Berlin lebt. Ich bin eine der Mitbegründerinnen und Leiterinnen des Berlin Art Prize e.V. Ich arbeite auch als Kulturredakteurin und setze mich für Nachhaltigkeit in der Kunst ein.

 

Leonie Huber (LH): Ich bin Leonie Huber und beschäftige mich in meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Praxis mit Textproduktion in der Gegenwartskunst. Bei der diesjährigen Ausgabe des Berlin Art Prize übernehme ich die Projektkoordination und kuratiere zwei der neun Ausstellungen. Mit dem BAP bin ich seit 2014 verbunden, als ich dort als Praktikantin erste Erfahrungen in der Berliner Kunstszene gemacht habe.

 

Zo​ë Claire Miller (ZCM): Ich bin Zo​ë Claire Miller, mache Kunst und Politik, habe mit Sophie & Alicia den BAP gegründet.

 

Sophie Jung (SJ): Ich bin Sophie Jung, bin Autorin und Redakteurin mit den Themen Kunst und Architektur. Gemeinsam mit Alicia und Zoë habe ich den Berlin Art Prize gegründet. Leonie hatte damals, 2014, auch mit mir zusammengearbeitet. Wie gut, dass sie dieses Jahr jetzt voll mit dabei ist. Auch ich erarbeite zwei der neun Ausstellungen für dieses Jahr.

 

Was war der Initialgedanke der zur Gründung des Berlin Art Prize geführt hat?

 

AR: Als wir uns im Sommer 2012 zum ersten Mal trafen, diskutierten wir über die mangelnde Vielfalt unter den Gewinner:innen von Kunstpreisen, zumindest in Berlin. Die gleichen Leute und der gleiche Typ Künstler:in gewannen einen Preis nach dem anderen. Man konnte und kann immer noch sehen, dass ein Preis den nächsten nach sich zieht. Wir wollten die Dinge aufmischen. Wir wollten allen eine Chance geben. Deshalb haben wir beschlossen, das Bewerbungsverfahren völlig anonym zu gestalten. Nur die Kunst zählt. Nicht das Netzwerk, nicht die Ausbildung, der Hintergrund oder die Ausstellungshistorie. Das war und ist der Kern des Berlin Art Prize. Bei der anderen Diskussion ging es darum, dass wir neue Leute kennenlernen wollten, um unsere eigenen Dialoge und Referenzen zu erweitern.

 

ZCM: Wir wollten, wie Alicia sagt, dem Matthäuseffekt kontern - (wer hat, dem wird gegeben) - und außerdem einen radikalen Bruch mit den üblichen Hierarchien innerhalb von Auszeichnungs- und Wertzuschreibungsprozessen vollziehen. Meistens verleihen große Institutionen, Mäzene, Unternehmen, Länder oder Städte Preise - dabei strahlt das symbolische Kapital der Ausgezeichneten auf die Auszeichnenden zurück, als wirksamer PR-Effekt, Huldigung deren Gönnerrolle. Der BAP bestand seit Beginn aus Akteuren der Kunstszene ohne solchen Status und versteht seine Arbeit als solidarische und emanzipatorische Praxis.

 

SJ: Kann mich nur anschließen. Mit materiell Nichts, idealistisch Viel und einem gewissen Glauben an Kunst einfach einen Gegenentwurf zu diesen fetten anderen Preisen zu lancieren, war toll und empowering.

Bei der Bewerbung gelten Namen und Lebenslauf nicht, sondern ausschließlich die Kunst ist die Basis für die Entscheidung der Jury – warum genau dieses Format ?

AR: Der anonyme Prozess bedeutet, dass alle Bewerbungen von der gleichen Ausgangssituation aus betrachtet werden. Kein:e Künstler:in hat einen Vorteil, weil sie/ er an einer renommierten Universität studiert oder in einer bekannten Galerie ausgestellt hat. Das ist für uns von größter Bedeutung.

 

2013 Trophy: Quirin Baumler +  2014 Trophy: Markus Selg

Photos: Florian Denzin, Courtesy of the Berlin Art Prize

 

Wie ist der Berlin Art Prize in der Berliner Kulturlandschaft zu verorten?

ZCM: Er war mal anti-institutionell. Nun gibt es ihn schon so lange, dass er selbst Institution geworden ist. Durch die Zusammenarbeit mit Projekträumen ist er stark in dieser heterogenen Szene der Stadt verortet. Es gibt Schnittstellen zu vielen verschiedenen Teilen der Kulturszene, wahrscheinlich am wenigsten jedoch zur kommerziell ausgerichteten.

Der Berlin Art Prize in 3 Wörtern?

AR: Transparent, offen (für neue Ideen), kollektiv.

LH: Humorvoll, gemeinschaftlich, unabhängig.

ZCM: Adhocratisch, feministisch, experimentell.

Nach welchen Kriterien wird die Jury ausgewählt?

AR: Wir suchen nach Jurymitgliedern, die einen starken Bezug zu Berlin haben. Wir führen sehr lange Diskussionen über die Jury und darüber, welche Kombinationen aus Erfahrung, Fokus und Expertise funktionieren könnten. Letztendlich müssen sie sich aber für das, was wir tun, begeistern und engagieren. In der Regel sind sie von dem Wunsch beseelt, neue Kunst und Künstler:innen zu entdecken - und sie arbeiten mit uns zusammen, weil sie von unserem Konzept der Offenheit und Transparenz in der Kunst überzeugt sind.

ZCM: Wir fragen uns, welche Künstler:innen und Kurator:innen interessante Perspektiven haben - wen wir als Künstler:innen gerne zum Studio Visit einladen würden - welche Komibination von Personen fruchtbare Gespräche führen könnte - wer gerade für die Stadt und für internationale Diskurse relevante Positionen einnimmt …

Nach welchen Kriterien werden die Nominierten ausgewählt?

AR: Es gibt nur ein Kriterium: Der/ Die Künstler:in muss in Berlin ansässig sein. In der Vergangenheit haben wir das so definiert, dass sie in den letzten sechs Monaten in Berlin gelebt und gearbeitet haben müssen, aber dieses Jahr haben wir das aufgrund der vielen Kriege und der unzähligen Neuberliner:innen geändert in "jetzt in Berlin ansässig". Das bedeutet, dass sich auch die/ der neueste Berliner:in bewerben konnte.

 

2015 Trophy: Yael Bartana +  2016 Trophy: Tomás Saraceno

Photos: Florian Denzin, Courtesy of the Berlin Art Prize

 

Wie läuft der Auswahlprozess ab?

LH: In einem ersten Schritt sichtet die Jury gemeinsam mit dem Team des Berlin Art Prize die anonymisierten Portfolios aller Bewerber:innen. Nach vielen Stunden und Diskussionen werden bis zu 15 Künstler:innen für die Longlist nominiert. Die Jury besucht sie in ihren Ateliers – zu diesem Zeitpunkt wird die Anonymität aufgehoben – und wählt anschließend neun Künstler:innen für die Shortlist aus. Nach der Eröffnung der neun Einzelausstellungen in neun Berliner Projekträumen besucht die Jury die Shows und kürt drei Gewinner:innen, denen eine Trophäe überreicht wird.

Wie politisch ist der Berlin Art Prize ?

ZCM: Der Berlin Art Prize ist inhärent - für einen Kunstpreis - sehr politisch.

SJ: Es gibt ein paar einfache Prinzipien, wie die Offenheit für alle in Berlin lebenden Künstler:innen, die Anonymität, die offene Kommunikation, das Experimentelle - da steckt jeweils immer auch eine politische Message drin. Und allein, dass wir in den letzten zehn Jahren eine alternative Struktur zu bestehenden Kunstpreisen aufgebaut haben, ist an sich schon Kulturpolitik, zumindest innerhalb Berlins.

Eine witzige/ merkwürdige/ nennenswerte Anekdote aus dem diesjährigen Auswahlverfahren?

AR: Abgesehen von dem absoluten Vergnügen, die Arbeiten von über 600 Berliner Künstler:innen zu sehen, fällt mir jedes Jahr auf, dass es absolut möglich ist, Themen von Jahr zu Jahr zu identifizieren. Vor ein paar Jahren stieß ich auf mehrere Verweise auf Walden's Pond und Thoreau. In einem Jahr war es Kathy Acker. Ich muss mich immer wieder fragen, was der Auslöser für diese Art von kollektiven Gedanken zu einem bestimmten Thema war. Wir können auch immer wieder Veränderungen in der Beliebtheit bestimmter Medien beobachten - wie Keramik, Video oder VR-Arbeit. Was mir in diesem Jahr besonders auffiel war, dass die Portfolios und Arbeiten fantastisch waren. Die Berliner Künstler:innen waren wohl während der Pandemie viel damit beschäftigt zu reflektieren, zu kreieren und sich neu zu orientieren.

 

 

2018 Trophy: Zuzanna Czebatul +  2019 Trophy: Saâdane Afif, Grigri

Photos: Florian Denzin, Courtesy of the Berlin Art Prize

 

Die Berliner Kulturszene in 3 Wörtern?

ZCM: Schillernd, streitlustig, gefährdet.

Die Berliner Kulturpolitik in 3 Wörtern?

ZCM: Herausgefordert, bemüht, haftbar.

Kann Kunst Politik machen oder macht vielmehr Politik Kunst?

AR: Kunst kann und sollte durchaus politische Aussagen machen. Kunst ist auf eine Weise wahrhaftig und offen, wie es andere Bereiche nicht sein können. Allerdings verspüren nicht alle Kunstschaffenden den Drang, politische Kunst zu schaffen – und das ist auch in Ordnung so.

ZCM: Kunst kann Politik machen, Politik kann nicht Kunst machen - aber die politischen, gesellschaftlichen Umstände ihrer Entstehung prägen die Kunst immer mit. Ob die Künstler:innen wollen oder nicht.

Ein Statement zur Kunsthalle Berlin?

ZCM: Die Skandale um die kurzlebige sogenannte Kunsthalle Berlin stehen für vieles: Deutschlands konsequenzenreiche blinde Flecken in der Russland- und Energiepolitik und mit ihnen der Praxis der cultural diplomacy, welche Kunst und Kultur zum Handlanger von verfehlter Politik macht; Fehlbesetzungen und mangelnde Visionen sowie politischer Wille und Aufsicht in der größten Liegenschaft des Landes, THF; aber auch die Durchsetzungskraft der Berliner Kulturszene, sich nicht verarschen zu lassen - und eine überfällige Debatte um Korruption, Public-Private-Partnerships, nicht hinnehmbare Sponsoren für Kultur, und die de facto für die Stadtgesellschaft und Kulturszene verschlossenen Liegenschaften dieser unter immer größerer Raumnot stehenden Stadt anzustoßen.

Ein Statement zur lokalen Kulturpolitik?

ZCM: Was auch im Skandal um die “Kunsthalle Berlin” und mit ihr um die landeseigene Gesellschaft Tempelhof Projekt GmbH sichtbar wird, ist, dass es ein großes Transparenz- und Qualitätssicherungsproblem in landeseigenen Gesellschaften gibt. Es existiert de facto null Accountability, nicht mal Abgeordnete kommen leicht an Informationen über die internen Prozesse in diesen black boxes, die öffentlich finanziert werden, erst recht nicht die Öffentlichkeit, die sie finanziert. Das ist ein gesamtpolitisches Problem, das auch in die Kulturpolitik hineinwirkt.

 

Für die Kultur bringt der aktuelle neue Haushalt des Landes weitreichende Verbesserungen: Aufstockungen der Stipendienprogramme, mehr Geld für subventionierte Ateliers und Arbeitsräume, Erhöhungen der Mindesthonorare in der bildenden Kunst - der Kulturausschuss im Abgeordnetenhaus, der Kultursenator und die Kulturverwaltung sowie die Interessenvertretungen der Kulturschaffenden haben gute Arbeit geleistet. Wo der Bund mit im Spiel ist, sieht’s anders aus, siehe das von Rechtsradikalen mitfinanzierte Berliner Schloss voller Raubkunst.

Vor allem ist auf lange Sicht klar: wenn der Bund nicht endlich wirksamen Mieterschutz im Gewerbe einführt, kann die Kultur in Berlin einpacken. Aber auch wenn beim Wohnraum weiterhin der Spekulation und Gewinnmaximierung keinerlei Grenzen gesetzt werden, wenn Gerichte, deren Richter:innen möglicherweise mehrheitlich nicht zur Miete wohnen, jedes Gesetz zum Mieterschutz konsequent kippen, wird die Kultur letztlich eingehen.

 

2022 Trophy Sketch: Petrit Halilaj, Alvaro Urbano

Courtesy of the Berlin Art Prize

 

Was sind für euch die aktuellen Highlights der lokalen Kulturlandschaft?

AR: Man könnte sagen, dass wir eine Vorliebe für Projekträume haben. Deshalb freue ich mich sehr darauf, beim Project Space Festival im August neue Räume und Künstler:innen kennenzulernen. Unabhängig von den Ausstellungen freue ich mich auch sehr darüber, dass es in Berlin unter Künstler:innen, Kurator:innen, Projekten und Galerien eine Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit gibt.

SJ: Definitiv die Projekträume und freien Initiativen, die eine wirklich wichtige Rolle einnehmen. Kürzlich eröffnete die ukrainische Gruppe Working Room eine Ausstellung im neuen Projektraum A:D Curatorial, wo sie sehr eindrückliche Arbeiten aus dem Krieg zeigen. Projekträume können unabhängig und experimentell an kritischen Stellen unserer Gesellschaft ansetzen.

Was sind für euch die aktuellen Highlights der internationalen Kulturlandschaft?

ZCM: Der international wachsende Widerstand gegen Sponsoring durch Geld, an dem Blut klebt - sei es die Sackler Dynastie mit ihrer Verantwortung für unzählige Tote durch Opiatsucht, oder Waffenhersteller, d.h. Kriegsprofiteure wie Rheinmetall bei einer früheren Großausstellung vom Privatier Walter Smerling. Er hatte ja hier in Berlin seine “Kunsthalle” vom berüchtigten Verdränger und Entmieter Christoph Gröner sponsern lassen, der in den Hangars von Tempelhof vor der Eröffnung eine Firmenfeier mit Ehrengast und Redner Gerhard Schröder halten durfte. Sowas nehmen wir nicht mehr hin.

SJ: Es gibt in der Kunst gerade eine starke Auseinandersetzung mit Denkweisen, Lebens- und Naturerfahrungen jenseits einer westlichen/ europäischen Moderne. Das sieht man bei der Venedig-Biennale, bei der Berlin Biennale und ganz groß bei der documenta. Da werden künstlerisch Themen und auch Organisationsstrukturen bearbeitet, die auch auf unser gesellschaftliches Zusammenleben übertragen werden können. Wobei die aktuelle Antisemitismus-Debatte zur documenta fifteen zeigt, dass wir in diesem Aushandlungsprozess eben auch bestimmte Werte und Grenzen formulieren müssen. Und auch wenn die documenta-Debatte gerade leider stark von Parteien- und Zuständigkeitspolitik bestimmt wird, ist es grundsätzlich gut, darüber nachzudenken, wie Diversität und gesellschaftliche Offenheit funktionieren können - und wie nicht.

Wir bedanken uns beim Team des Berlin Art Prize

Interview: Maximiliane Kolle + Jakob Urban

Das Interview fand im Juli 2022 statt.

Die Eröffnung des Berlin Art Prize 2022 findet am 01. und 02. September in 8 Berliner Projekträumen statt.

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